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Selbstreferentialität 2 (Paradoxie)

(Fortsetzung von „Selbstreferentialität 1“)

Anweisung zur Generierung von Paradoxien

Der Trick mit dem sich formale Systeme sprengen lassen besteht wie gesagt aus zwei Anweisungen:
1: Eine Aussage bezieht sich auf sich selber.
2: Im Bezug oder in der Aussage gibt es eine Verneinung.
Durch diese Konstellation entsteht immer eine Paradoxie.

Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Barbier, der alle Männer des Dorfes rasiert, ausser natürlich diejenigen, die sich selber rasieren (die haben es ja nicht nötig). Die formale Paradoxie entsteht durch die Frage, ob dieser Barbier sich selber rasiert. Falls er es tut, gehört er zu den Männern, die sich selber rasieren, und diese rasiert er wie gesagt nicht. Also rasiert er sich nicht. Somit gehört er zu den Männern, die sich nicht selber rasieren – und diese rasiert er.

Auf diese Weise wechselt der Wahrheitsgehalt der Aussage, ob er sich selber rasiert, dauernd zwischen WAHR und FALSCH hin und hier. Diese Oszillation ist typisch für alle echten Paradoxien, so z.B. auch für den lügenden Kreter oder den formalen Beweis in Gödels Unvollständigkeitssatz, auch dort oszilliert der Wahrheitsgehalt einer Aussage kontinuierlich zwischen wahr und falsch und ist somit nicht entscheidbar. Im Barbierbeispiel sind neben der typischen Oszillation auch klar die oben erwähnten beiden Bedingungen für die echte Paradoxie erkennbar:
1. Selbstreferentialität: Rasiert er SICH SELBER?
2. Verneinung: Er rasiert sich selber rasierende Männer NICHT.

An dieser Stelle kann auf Spencer-Brown verwiesen werden, der einen Kalkül entwickelt hat, mit dem sich diese Verhältnisse klar zeigen lassen. Der Kalkül wird in seinem Text „Laws of Form“ dargestellt. Wer sich dafür interessiert, dem sei das Buch „Die Form der Paradoxie“ von Felix Lau empfohlen, das nicht nur den Kalkül für uns Laien nachvollziehbar macht, sondern sich auch sehr intensiv mit den Konsequenzen dieser Art Paradoxie beschäftigt.

Unechte Paradoxien

Diesen „klassischen“ Paradoxien möchte die „unechten“ Paradoxien gegenüberstellen, z.B. die „Paradoxie“ von Achilles und der Schildkröte. Hier handelt es sich nicht um echtes logisches Problem wie beim Barbier, sondern um ein inadäquat gewähltes Modell. Die Zeiten und Strecken, die die beiden Konkurrenten rennen, werden nämlich immer kürzer und nähern sich einem Wert, der innerhalb des gewählten Modells nicht überschritten werden kann. Somit kann Achilles die Schildkröte im Modell nicht überholen. In der Realität besteht aber kein Grund, dass die Zeiten und Strecken derart verzerrt und nicht linear betrachtet werden.

Die Unmöglichkeit zu überholen, besteht nur im Modell, das auf eine raffinierte Weise falsch gewählt ist. Ein Messsystem, das auf diese Weise verfälscht, ist natürlich nicht zulässig. Es handelt sich in Wirklichkeit um eine perfide Modellwahl, nicht um eine wirkliche Paradoxie. Entsprechend sind die beiden Kriterien für echte Paradoxa auch nicht vorhanden.

Modellwahl

Das Beispiel von Achilles und der Schildkröte zeigt die Bedeutung der korrekten Modellwahl. Die Modellwahl findet stets ausserhalb der Darstellung der Lösung statt und ist nicht Gegenstand eines logischen Beweises. Die Modellwahl hat vielmehr mit dem Bezug der Logik zur Realität zu tun. Sie findet auf einer übergeordneten Metaebene statt.

Mein Postulat ist es nun, dass zum Gebiet der Logik unbedingt auch die Modellwahl und nicht nur das Kalkül innerhalb des Modells gehört. Wie wählen wir ein Modell? Wenn Logik die Lehre vom richtigen Denken ist, dann muss diese Frage von der Logik mit behandelt werden.

Rolle der Metaebene für Modellwahl und Paradoxie

Das Zusammenwirken von zwei Ebenen, nämlich einer betrachteten Ebene und einer übergeordneten, betrachtenden Metaebene spielt nicht nur bei der Modellwahl, welche stets auf der Metaebene stattfindet, eine Rolle, sondern auch in der Form der echten Paradoxie. Die Selbstreferentialität in der echten Paradoxie führt nämlich unweigerliche die beiden Ebenen ein.

Eine Aussage, die sich auf sich selber bezieht, existiert zweimal, einmal auf der betrachteten Ebene, auf der sie quasi das „Objekt“ ist, das andere Mal auf der Metaebene, auf der sie sich auf sich selber bezieht. Die Oszillation der Paradoxie entsteht durch einen „Loop“, d.h. durch einen Kreisprozess zwischen den beiden Ebenen, dem das logische System nicht entrinnen kann.

Oszillierender Loop der Paradoxie, Selbstreferentialität und „Metasprung“

Es gibt übrigens zwei Arten solcher Loops, wie Felix Lau in seinem Buch aufzeigt: – eine negative (mit Verneinung), die zur Paradoxie führt – eine positive (mit Bestätigung), die zu einer Tautologie führt. Mit anderen Worten: Selbstreferentialität in logischen Systemen ist immer gefährlich! Es lohnt sich, zur Vermeidung, bzw. zur korrekten Behandlung von Paradoxien in logische Systeme den „Metasprung“ einzuführen – dieser ist der Bezug zwischen der betrachteten Ebene und der betrachtenden Metaebene.

Der blinde Fleck

Wenn Semantik als Wissenschaftsthema eingeordnet werden soll, bieten sich z.B. folgende Fächer an:

a) Linguistik
b) Informationstheorie
c) Mathematik
d) Psychologie
e) Philosophie

Die breite Auswahl zeigt, dass eine Zuordnung nicht selbstverständlich ist. Vielleicht haben ja alle diese Fächer recht, Semantik auf ihre Weise zu behandeln. Ich plädiere aber dafür, Semantik als ein eigenes Gebiet zu betrachten, mit eigenen Problemstellung und Lösungen und insbesondere auch mit eigenen formalen Methoden. Diese bauen nicht auf linguistischen oder mathematischen Methoden auf, sondern nehmen solche gegebenenfalls für klar definierte Aufgaben zu Hilfe, so wie die Physik mathematische Methoden zu Hilfe nimmt.

Überhaupt hat jedes Fachgebiet seine eigene Semantik. Wenn Semantik als Bedeutung von Wörtern oder Daten definiert wird, so ist klar, dass die Wörter in jedem Fachgebiet ihre eigene Bedeutung, d.h. ihre eigene Semantik haben. Diese aber ist die Semantik des Fachgebietes und nicht die Semantik als Fachgebiet selber. Semantik als Fachgebiet hat mit der Darstellung und dem Prozessieren von Bedeutungen zu tun. Es handelt sich um zwei verschiedene Ebenen:

a) Die Bedeutungen des Untersuchungsgegenstandes (des jeweiligen Fachgebietes)
b) Die Methode, mit welcher die Bedeutungen dargestellt werden

Es ist klar, dass letzteres eine Metaebene darstellt. Diese Metaebene ist unsere Semantik.

Im Auge werden die eingehenden Lichtstrahlen auf der Netzhaut abgebildet. Die über die ganze Netzhaut verstreuten Signale werden in einem eng umschriebenen Gebiet gebündelt, wo sie in den Sehnerv eintreten. An diesem Ort sehen wir nichts, da eintreffende Lichtsignale dort keine Lichtrezeptoren vorfinden, weil dieses Gebiet bereits vollständig von der Infrastruktur der Weiterleitung, dem Sehnerv,  beansprucht wird. Es handelt sich dabei um eine Metastruktur. Bemerkenswerterweise fällt uns die Blindheit an dieser Stelle nicht auf. Sobald wir nämlich einen Gegenstand ansehen wollen, der sich an dieser Stelle befindet, fokussieren wir ihn. Das bedeutet, dass wir das Auge so bewegen, dass wir den anvisierten Gegenstand neu an der Stelle des schärfsten Sehens haben. Der blinde Fleck fällt uns dadurch nicht mehr auf. Wir sind an dieser Stelle doppelt blind. Der blinde Fleck  ist nicht nur blind, weil wir dort nichts sehen, wir sind darüberhinaus blind bezüglich der Tatsache, dass wir dort nichts sehen.

Soviel zum blinden Fleck und zur Metaebene. Soviel zur Semantik.

Dieser Beitrag ist fortgesetzt in: Und aussen war das Wort (1)